Myasthenia gravis (MG) ist eine seltene, chronische Autoimmunerkrankung, die durch eine gestörte Kommunikation zwischen den Nerven und den Muskeln gekennzeichnet ist. Der Name „Myasthenia gravis“ stammt aus dem Griechischen und Lateinischen und bedeutet „schwere Muskelschwäche“. Typischerweise verursacht MG eine Schwäche der Skelettmuskulatur, die durch körperliche Aktivität verstärkt und durch Ruhe gelindert wird. Obwohl sie als selten gilt, betrifft die Erkrankung weltweit Tausende von Menschen, wobei Frauen tendenziell häufiger betroffen sind als Männer. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, wird jedoch häufig bei Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren und bei Männern ab dem 50. Lebensjahr diagnostiziert.

Ursachen von Myasthenia gravis

MG ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem fälschlicherweise Antikörper gegen bestimmte Rezeptoren an den Muskelzellen produziert. In den meisten Fällen richten sich die Antikörper gegen den acetylcholinergen Rezeptor (AChR), der für die Übertragung von Nervenimpulsen auf die Muskeln verantwortlich ist. Durch die Blockierung oder Zerstörung dieser Rezeptoren wird die normale Übertragung der Nervenimpulse gestört, was zu einer unzureichenden Kontraktion der Muskeln führt. In einigen Fällen können auch andere Strukturen wie das Protein MuSK (muscle-specific kinase) betroffen sein.

Der genaue Grund, warum das Immunsystem beginnt, diese Antikörper zu produzieren, ist noch nicht vollständig geklärt. Ein Zusammenhang besteht oft mit dem Thymus, einer Drüse, die eine wichtige Rolle im Immunsystem spielt. Bei vielen Patienten ist der Thymus entweder vergrößert oder es finden sich Tumoren (Thymome), die die Produktion der fehlgeleiteten Antikörper anregen.

Symptome

Das Hauptsymptom der Myasthenia gravis ist eine Muskelerschlaffung oder -schwäche, die sich typischerweise im Laufe des Tages oder nach Anstrengung verschlimmert. Zu den betroffenen Muskelgruppen gehören häufig:

  • Augenmuskeln (okulare Myasthenia): Dies führt zu hängenden Augenlidern (Ptosis) und Doppelbildern (Diplopie).
  • Gesichtsmuskeln: Patienten können Schwierigkeiten haben zu sprechen (Dysarthrie), zu kauen oder zu schlucken (Dysphagie).
  • Arme und Beine: Muskelschwäche in den Extremitäten kann zu Problemen bei alltäglichen Aktivitäten führen, wie Gehen, Treppensteigen oder das Halten von Gegenständen.
  • Atemmuskulatur: In schweren Fällen kann es zu einer Schwäche der Atemmuskulatur kommen, was eine lebensbedrohliche Situation darstellen kann (myasthene Krise).

Die Symptome können von Person zu Person sehr unterschiedlich sein und hängen von der Schwere und Ausbreitung der Erkrankung ab.

Formen und Krankheitsverlauf

Es gibt verschiedene Formen von Myasthenia gravis:

  • Generalisierte Myasthenia gravis: Betroffene haben Schwäche in mehreren Muskelgruppen, einschließlich Gesicht, Hals, Armen, Beinen und Atemmuskeln.
  • Okulare Myasthenia gravis: Diese Form betrifft hauptsächlich die Augenmuskeln, was zu Ptosis und Diplopie führt. Manchmal bleibt die Erkrankung auf die Augenmuskeln beschränkt.
  • Neonatale Myasthenia gravis: Neugeborene von Müttern mit MG können durch die Übertragung der Antikörper von der Mutter vorübergehend an MG erkranken.
  • Kongenitale Myasthenia: Diese seltene Form der MG ist nicht autoimmunbedingt, sondern genetisch und tritt bereits bei Säuglingen auf.

Der Krankheitsverlauf kann stark variieren. Manche Patienten erleben eine schleichende Verschlechterung über Monate oder Jahre, während andere Patienten akute Verschlechterungen erfahren. Eine gefährliche Komplikation ist die myasthene Krise, bei der die Schwäche der Atemmuskulatur so stark wird, dass eine künstliche Beatmung erforderlich ist.

Medizinische Behandlungsmöglichkeiten

Die Behandlung von Myasthenia gravis zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, das Immunsystem zu modulieren und die Übertragung der Nervenimpulse auf die Muskeln zu verbessern. Zu den gängigen Therapieansätzen gehören:

  • Acetylcholinesterase-Hemmer: Diese Medikamente, wie Pyridostigmin, hemmen das Enzym Acetylcholinesterase, das Acetylcholin abbaut. Dadurch bleibt der Botenstoff länger im synaptischen Spalt aktiv, was die Muskelkontraktion unterstützt.
  • Immunsuppressiva: Medikamente wie Prednison, Azathioprin oder Mycophenolatmofetil unterdrücken die Aktivität des Immunsystems und verringern die Produktion der Antikörper.
  • Plasmapherese und intravenöse Immunglobuline (IVIG): Diese Therapien kommen vor allem bei akuten Verschlechterungen zum Einsatz. Bei der Plasmapherese wird das Blut gereinigt, um die Antikörper zu entfernen, während IVIG eine modulierende Wirkung auf das Immunsystem hat.
  • Thymektomie: Die chirurgische Entfernung des Thymus kann bei vielen Patienten zu einer Verbesserung oder sogar einer vollständigen Remission führen.

Physiotherapie bei Myasthenia gravis

Die Physiotherapie spielt eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Myasthenia gravis, insbesondere in der langfristigen Betreuung und Rehabilitation. Sie dient dazu, die Muskelkraft zu verbessern, die Beweglichkeit zu erhalten und alltägliche Funktionsfähigkeiten zu stärken, ohne die Muskeln übermäßig zu belasten. Physiotherapeutische Ansätze bei MG müssen sorgfältig abgestimmt werden, da zu intensive körperliche Aktivitäten die Symptome verschlimmern können.

Ziele der Physiotherapie:

  • Verbesserung der Muskelkraft: Durch gezielte Übungen wird die allgemeine Muskelkraft erhalten oder verbessert, ohne eine Überanstrengung zu riskieren. Es wird darauf geachtet, dass die Patienten lernen, ihre Grenzen zu erkennen und Pausen einzulegen, wenn es notwendig ist.
  • Förderung der Atemmuskulatur: Atemübungen und Atemtherapien sind von großer Bedeutung, insbesondere bei Patienten, die eine Beeinträchtigung der Atemmuskulatur zeigen. Atemtechniken wie die diaphragmale Atmung oder die Nutzung von Atemtrainingsgeräten können helfen, die Atemfunktion zu unterstützen.
  • Verbesserung der Ausdauer: Mit leichten, aerobischen Übungen, wie z.B. Spazierengehen oder Schwimmen, kann die allgemeine Ausdauer verbessert werden. Hierbei ist eine moderate Intensität entscheidend, um Überanstrengung zu vermeiden.
  • Erhalt der Gelenkbeweglichkeit und Bewegungskoordination: Passive und aktive Dehnungsübungen sowie Koordinationstraining sind wichtig, um die Beweglichkeit der Gelenke zu fördern und die Koordination der Bewegungen zu verbessern.

Methoden in der Physiotherapie:

  • Individuelle Übungsprogramme: Da die Symptomatik von Patient zu Patient unterschiedlich ist, wird ein maßgeschneidertes Programm erstellt. Dabei werden die aktuellen Muskeldefizite und die allgemeine Fitness des Patienten berücksichtigt.
  • Elektrische Muskelstimulation (EMS): Bei stark geschwächten Muskeln kann die elektrische Muskelstimulation zum Einsatz kommen. Diese soll die Muskulatur aktivieren und zu stärken, ohne die Gelenke und Muskeln übermäßig zu belasten.
  • Hydrotherapie: Wasserbasierte Übungen, wie sie in der Hydrotherapie verwendet werden, bieten eine gelenkschonende Möglichkeit, die Muskelkraft und Ausdauer zu verbessern, da das Wasser den Körper unterstützt und gleichzeitig sanften Widerstand bietet.
  • Posturales Training: Da viele Patienten mit MG unter Haltungsstörungen aufgrund der Muskelschwäche leiden, wird ein spezielles posturales Training durchgeführt, um die Körperhaltung zu verbessern und Fehlbelastungen zu vermeiden.

Rolle des Physiotherapeuten:

Der Physiotherapeut arbeitet eng mit dem Patienten zusammen, um eine Balance zwischen körperlicher Aktivität und Ruhephasen zu finden. Eine genaue Überwachung der Fortschritte ist entscheidend, um das Therapieprogramm kontinuierlich anzupassen und die Belastung optimal zu steuern. Der Patient wird auch im Umgang mit den alltäglichen Herausforderungen geschult, z. B. wie man Tätigkeiten wie Treppensteigen, Gehen oder das Heben von Gegenständen energiesparend durchführt.

Fazit

Myasthenia gravis ist eine komplexe, aber behandelbare Erkrankung, die eine interdisziplinäre Herangehensweise erfordert. Während Medikamente eine zentrale Rolle bei der Kontrolle der Symptome spielen, ist die Physiotherapie ein wichtiger Bestandteil der umfassenden Betreuung. Sie ermöglicht es den Patienten, ihre Muskelfunktion zu erhalten, ihre Lebensqualität zu verbessern und aktiv am alltäglichen Leben teilzunehmen. Durch angepasste Übungsprogramme und die richtige Balance zwischen Aktivität und Ruhe können die Patienten lernen, mit der Erkrankung umzugehen und ihre körperlichen Fähigkeiten zu optimieren.