Dehnen gehört zu den am häufigsten empfohlenen Maßnahmen, um die Beweglichkeit zu fördern, Verletzungen vorzubeugen und die körperliche Regeneration zu unterstützen. Dennoch gibt es Diskussionen über den richtigen Zeitpunkt und die Methoden des Dehnens, insbesondere in Verbindung mit sportlicher Aktivität. In diesem Beitrag werfen wir einen detaillierten Blick auf die biologischen Grundlagen des Dehnens, die Vor- und Nachteile von Dehnübungen vor und nach dem Sport, häufige Fehler und wie man das Beste aus dem Dehnen herausholt.

Die Bedeutung des Dehnens für unseren Körper

Dehnen ist ein elementarer Bestandteil körperlicher Fitness und Gesundheit. Es verbessert nicht nur die Beweglichkeit, sondern wirkt auch auf tiefergehende biologische Prozesse ein:

Beweglichkeit und Muskelgesundheit

Durch Dehnen wird die Länge von Muskeln und Sehnen angepasst, was die Bewegungsreichweite der Gelenke erhöht. Dies ist besonders wichtig, um alltägliche Bewegungen, wie das Bücken oder Greifen, beschwerdefrei auszuführen.
– Regelmäßiges Dehnen verhindert Muskelverkürzungen, die durch monotone Bewegungsmuster oder eine bewegungsarme Lebensweise entstehen können.

Verletzungsprophylaxe

Dehnen macht Muskeln elastischer und widerstandsfähiger gegenüber plötzlicher Belastung. Insbesondere dynamisches Dehnen vor dem Sport kann helfen, das Verletzungsrisiko zu reduzieren, indem es den Körper optimal auf die Belastung vorbereitet.

Regeneration und Entspannung

Nach dem Sport hilft Dehnen, die Muskeln zu entspannen, die Durchblutung zu fördern und Stoffwechselprodukte wie Laktat schneller abzubauen. Zudem wirkt Dehnen beruhigend auf das Nervensystem und kann Stress reduzieren.

Die biologischen Abläufe beim Dehnen

Die Rolle der Muskelspindeln

Muskelspindeln sind spezialisierte Rezeptoren im Muskel, die die Muskellänge und -dehnung messen. Wird ein Muskel zu schnell oder zu stark gedehnt, aktivieren die Muskelspindeln einen Schutzmechanismus, den sogenannten Dehnungsreflex. Dieser bewirkt eine unwillkürliche Muskelkontraktion, um Verletzungen durch Überdehnung zu verhindern.

➡ Fazit: Langsames und kontrolliertes Dehnen reduziert den Dehnungsreflex und ermöglicht eine effektivere Dehnung.

Golgi-Sehnenorgane und Muskelentspannung

Die Golgi-Sehnenorgane, die sich in den Sehnen befinden, reagieren auf Muskelspannung. Bei anhaltendem Dehnen (mindestens 20 Sekunden) senden sie Signale an das Nervensystem, die Muskelspannung zu reduzieren. Dieser Prozess wird als autogene Hemmung bezeichnet und führt zur Entspannung der gedehnten Muskulatur.

Verbesserung der Durchblutung

Dehnen fördert die Durchblutung in den Muskeln, was die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen verbessert und den Abtransport von Abfallprodukten erleichtert.

Dehnen vor und nach dem Sport: Pros und Contras

Die Frage, ob man vor oder nach dem Sport dehnen sollte, ist eine der häufigsten Diskussionen unter Sportlern, Physiotherapeuten und Wissenschaftlern. Beide Ansätze haben spezifische Vorteile, aber auch mögliche Nachteile.

Dehnen vor dem Sport

Pro:

  • Vorbereitung auf Bewegung: Dynamisches Dehnen (z. B. Bein- und Armkreisen) erhöht die Körpertemperatur und aktiviert die Muskulatur, was die Leistungsfähigkeit steigert.
  • Erhöhung der Bewegungsreichweite: Dynamisches Dehnen kann die Gelenkbeweglichkeit verbessern, was bei Sportarten wie Gymnastik oder Tanz von Vorteil ist.
  • Verletzungsprophylaxe: Durch eine verbesserte Muskelflexibilität sinkt das Risiko von Zerrungen und anderen Überlastungsschäden.

Contra:

  • Kraftverlust durch statisches Dehnen: Studien zeigen, dass längeres, statisches Dehnen vor kraftintensiven Übungen (wie Gewichtheben) die maximale Kraftentfaltung um bis zu 5–30 % reduzieren kann.
  • Dehnungsreflex:  Zu intensives oder unkontrolliertes Dehnen vor dem Sport kann zu ungewollten Muskelkontraktionen führen und die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.

Dehnen nach dem Sport

Pro:

  • Förderung der Regeneration: Sanftes statisches Dehnen entspannt die Muskulatur und unterstützt den Abbau von Stoffwechselprodukten wie Laktat.
  • Flexibilitätssteigerung: Nach dem Sport sind die Muskeln warm und elastisch, was die ideale Voraussetzung für Flexibilitätstraining ist.
  • Stressabbau: Das ruhige Halten der Dehnpositionen beruhigt das Nervensystem und kann zu einem allgemeinen Gefühl der Entspannung führen.

Contra:

  • Ungeeignet bei Verletzungen: Direkt nach einer Muskelverletzung (z. B. Zerrung) kann Dehnen den Heilungsprozess behindern.
  • Zeitaufwand: Viele Sportler verzichten nach dem Training auf Dehnen, da sie es als nicht essenziell betrachten.

Vor dem Sport ist dynamisches Dehnen die beste Wahl. Es kombiniert Beweglichkeitstraining mit einer Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems. Statisches Dehnen sollte auf die Zeit nach dem Training verschoben werden, um die Beweglichkeit zu verbessern und die Regeneration zu fördern.

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Häufige Fehler beim Dehnen und ihre Folgen**

  • Zu schnelles Dehnen: Kann den Dehnungsreflex auslösen und die Muskulatur ungewollt anspannen.
  • Überdehnung: Führt zu Mikroverletzungen in Muskeln und Sehnen, die Schmerzen und Entzündungen verursachen können.
  • Falsche Haltung: Belastet andere Muskelgruppen oder Gelenke und kann langfristig zu Fehlhaltungen führen.
  • Unregelmäßigkeit: Dehnen ist nur effektiv, wenn es regelmäßig durchgeführt wird.

Dehnübungen

Dynamisches Dehnen (vor dem Sport)

Armkreisen: Kreisen Sie die Arme langsam vorwärts und rückwärts, um die Schultern zu mobilisieren.
Ausfallschritt mit Rotation: Machen Sie einen Ausfallschritt nach vorne und drehen Sie den Oberkörper in die Richtung des vorderen Beins

Statisches Dehnen (nach dem Sport)

Seitliche Rumpfdehnung: Strecken Sie einen Arm über den Kopf und neigen Sie sich zur Seite, um die Flankenmuskulatur zu dehnen.
Wadenstrecker: Stellen Sie sich vor eine Wand, lehnen Sie sich mit einem Bein nach vorne und drücken Sie die Ferse des hinteren Beins in den Boden.

Dehnübungen für die Arme

Trizepsdehnung:Stehen oder sitzen Sie aufrecht. Heben Sie einen Arm nach oben und beugen Sie den Ellbogen, sodass die Hand den oberen Rücken berührt. Greifen Sie mit der anderen Hand den Ellbogen des gehobenen Arms und ziehen Sie ihn sanft nach hinten. Halten Sie die Position für 20–30 Sekunden, ohne ins Hohlkreuz zu gehen. Vermeiden Sie es, den Kopf nach vorne zu neigen.

Brust- und Bizepsdehnung: Stellen Sie sich aufrecht hin und verschränken Sie die Hände hinter Ihrem Rücken. Strecken Sie die Arme nach unten, während Sie die Schultern nach hinten ziehen. Heben Sie die Arme leicht an, um die Dehnung in der Brust und den Oberarmen zu verstärken. Halten Sie die Position 20–30 Sekunden. Achten Sie darauf, dass Sie nicht ins Hohlkreuz fallen.

Dehnübungen für die Beine

Quadrizepsdehnung (Oberschenkelvorderseite): Stehen Sie aufrecht, am besten in der Nähe einer Wand oder eines Stuhls, um sich abzustützen. Greifen Sie mit einer Hand den Fuß des gleichen Beins und ziehen Sie die Ferse sanft Richtung Gesäß. Achten Sie darauf, dass das Knie des gestreckten Beins nicht nach außen zeigt und die Oberschenkel parallel bleiben. Halten Sie die Position für 20–30 Sekunden pro Seite. Spannen Sie die Bauchmuskulatur leicht an, um das Hohlkreuz zu vermeiden.

Hamstringsdehnung (Oberschenkelrückseite): Setzen Sie sich mit gestreckten Beinen auf den Boden. Beugen Sie den Oberkörper langsam nach vorne und versuchen Sie, mit den Händen die Zehen zu erreichen. Halten Sie den Rücken gerade und gehen Sie nur so weit, wie es angenehm ist. Halten Sie die Dehnung 20–30 Sekunden. Vermeiden Sie es, den Rücken zu krümmen, um keine unnötige Belastung der Wirbelsäule zu verursachen.

Wadenstrecker: Stellen Sie sich vor eine Wand und stützen Sie sich mit den Händen ab.  Machen Sie einen Ausfallschritt nach hinten, wobei das hintere Bein gestreckt bleibt und die Ferse auf dem Boden bleibt. Beugen Sie das vordere Bein, um die Dehnung in der Wade des hinteren Beins zu spüren. Halten Sie die Position 20–30 Sekunden pro Seite. Halten Sie den Rücken gerade und vermeiden Sie, die Ferse anzuheben.

Dehnübungen für den Rücken

Katzenbuckel und Pferderücken (dynamische Übung):  Gehen Sie in den Vierfüßlerstand (Hände unter den Schultern, Knie unter den Hüften). Machen Sie einen Katzenbuckel, indem Sie den Rücken runden und das Kinn zur Brust ziehen. Wechseln Sie in den Pferderücken, indem Sie den Bauch Richtung Boden senken und den Kopf nach oben heben. Wiederholen Sie die Bewegung 8–10 Mal langsam und fließend. Atmen Sie beim Katzenbuckel aus und beim Pferderücken ein.

Drehung der Wirbelsäule (Rumpfrotation): Setzen Sie sich auf den Boden, strecken Sie ein Bein aus und winkeln Sie das andere Bein an, sodass der Fuß flach auf dem Boden steht. Drehen Sie den Oberkörper in Richtung des angewinkelten Beins und stützen Sie sich mit der gegenüberliegenden Hand auf dem Knie ab. Halten Sie die Position 20–30 Sekunden und wechseln Sie die Seite. Achten Sie darauf, dass die Wirbelsäule aufrecht bleibt.

Dehnübungen für den Nacken

Seitliche Nackendehnung: Sitzen oder stehen Sie aufrecht.  Neigen Sie den Kopf langsam zur Seite, sodass das Ohr Richtung Schulter wandert.  Verstärken Sie die Dehnung, indem Sie die gegenüberliegende Hand leicht auf den Kopf legen. Halten Sie die Position 20–30 Sekunden und wechseln Sie die Seite. Ziehen Sie die Schultern bewusst nach unten, um die Dehnung zu intensivieren.

Nackenvorwärtsdehnung: Neigen Sie das Kinn langsam Richtung Brust. Legen Sie die Hände leicht auf den Hinterkopf und verstärken Sie die Dehnung sanft. Halten Sie die Position 20–30 Sekunden. Vermeiden Sie es, die Schultern nach vorne zu ziehen.

Zusammenfassung und Hinweise

Halten Sie jede Dehnung mindestens 20–30 Sekunden, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen.
Atmen Sie ruhig und gleichmäßig, um die Muskulatur zu entspannen.
Dehnen Sie nie bis zur Schmerzgrenze: Ein leichtes Ziehen ist normal, Schmerzen sind jedoch ein Zeichen, dass Sie zu weit gehen.

Fazit: Das perfekte Dehnprogramm

Dehnen ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines gesunden Lebensstils. Die Wahl der richtigen Methode hängt vom Zeitpunkt und Ziel ab:
Vor dem Sport: Dynamisches Dehnen zur Vorbereitung und Aktivierung.
Nach dem Sport: Statisches Dehnen zur Entspannung und Regeneration.

Mit regelmäßigen und korrekt ausgeführten Dehnübungen können Sie Ihre Flexibilität steigern, Verletzungen vorbeugen und langfristig Ihre körperliche Leistungsfähigkeit verbessern.